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Dialektische Theologie

Dialektische Theologie

1. Begriff und Geschichte der d. Th.

Als d. Th. pflegt man die nach dem ersten Weltkrieg an die Öffentlichkeit getretene, von K. Barth, Fr. Gogarten, R. Bultmann, E. Brunner u. a. getragene theologische Richtung zu bezeichnen. Sie betonte die Jenseitigkeit Gottes (: VI) und die Souveränität seiner Offenbarung (: VI) wieder gegenüber all dem, was der Mensch in seinem Denken und Erleben, in seiner Kultur, Philosophie und Religion als geistigen Besitz haben kann. Ihr Radikalismus berührte sich mit der die Kriegs- und Nachkriegszeit kennzeichnenden allgemeinen Krise des Kulturbewußtseins, ist aber wesentlich durch die theologische Erkenntnis bedingt, daß der Mensch immer, auch als Glaubender, vor Gott mit leeren Händen steht. Damit knüpfte die d. Th. an die Theologie der Reformatoren an, trat aber in scharfen Gegensatz zur liberalen wie zur positiven Theologie ihrer Zeit (vgl. Gogarten, Gericht oder Skepsis, 1937, 10).
Die erwähnten Züge kennzeichnen die d. Th. zunächst als die erste Gestalt einer »Theologie des Wortes Gottes« (: IV). Sie kam erstmals in Barths »Römerbrief« 1919 zum Ausdruck. Barth war durch W. Herrmann zur Überzeugung gelangt, daß die Offenbarung als Gegenstand der Theologie sich selbst begründet und jede anderweitige Begründung ausschließt. Von hier aus hatte er die Erlebnistheologie Hermanns samt ihrer den Inhalt des Offenbarungsbegriffs verengenden Orientierung am »inneren Leben Jesu« überwunden, indem er in Anlehnung an die Reformatoren (und angeregt durch die beiden Blumhardt, Kutter, J. T. Beck, Kohlbrügge, Franz Overbeck u. a.) ein neues, nicht bloß historisches, sondern theologisches Verständnis der Schrift als ganzer gewann ( Bibel: III, 1). Der hermeneutische Schlüssel zur Schrift wurde in der Einheit des von ihr bezeugten, allen menschlichen Möglichkeiten entgegengesetzten ( Kierkegaard) Wortes Gottes, seines offenbarenden Handelns, gefunden. Der Forderung Barths nach einem theologischen Begriff der Offenbarung als des »Wortes in den Wörtern« der Schrift und als Schlüssel zu ihrer theologischen Auslegung stimmte Bultmann 1922 zu. Zu ähnlichen Auffassungen war auf eigenem Wege Gogarten gelangt, indem er die von Troeltsch untersuchten Zusammenhänge zwischen Kultur und Christentum in das bei Luther gewonnene kritische Licht der Situation des Sünders vor Gott stellte und den Glauben in der »Entscheidung« des Menschen gegenüber dem nicht ausweisbaren Autoritätsanspruch Jesu begündet sah. So konnten sich Barth, E. Thurneysen und G. Merz 1922 mit Gogarten im Zeichen einer »Theologie des Wortes Gottes« zur Gründung der Zeitschrift »Zwischen den Zeiten« (ZZ) vereinigen (der Titel geht auf einen gleichnamigen Aufsatz Gogartens in ChW 34, 1920, 374-378 zurück). Dem um diese Zeitschrift sich sammelnden Kreis schlossen sich u. a. Brunner und Bultmann an.
Doch welchen Inhalt hat das »Wort in den Wörtern« der Schrift? Wie ist Jesus Christus als das Wort Gottes zu verstehen? Diese Frage fand sehr verschiedene Antworten. Der Name d. Th., der dem Kreis um ZZ noch 1922 »von irgend einem Zuschauer angehängt« wurde (Barth, ZZ 11, 1933, 536), kennzeichnet nur die erste Phase der »Theologie des Wortes Gottes«, und zwar insbesondere die Theologie Barths um 1922, von der sich die Positionen der anderen Glieder des Kreises erst allmählich abhoben. Als klassischer Ausdruck der d. Th. kann die 2. Ausg. von Barths »Römerbrief« (1922) mit ihrem an Kierkegaard orientierten Verständnis der Offenbarung als paradoxer Gegensatzeinheit von Ewigkeit und Zeit gelten. »Dialektisch« ist hier sowohl das Verhältnis Gottes in seiner Offenbarung zur Wirklichkeit des Menschen (s. 2) als auch die Struktur der dieses Verhältnis beschreibenden theologischen Aussagen (s. 3). Es hängt mit der diesem Entwurf eignenden Problematik zusammen, daß sowohl Brunner, Gogarten und Bultmann als auch - in entgegengesetzter Richtung - Barth selbst die rein dialektische Anfangsgestalt der Theologie des Wortes hinter sich ließen. Ihre Differenzen führten schließlich auch äußerlich zur Auflösung der Gemeinschaft von ZZ. Barth warf 1933 Brunner, Gogarten und Bultmann vor, den gemeinsamen Boden verlassen zu haben, indem sie einer »Anknüpfung« der Theologie an anthropologische Voraussetzungen das Wort redeten (ZZ 11, 1933, 311). Die Verflechtung der theologischen Differenzen mit kirchlichen Gegensätzen durch Gogartens Zusammengehen mit den »Deutschen Christen« führte noch im selben Jahr zu Barths »Abschied« von ZZ und zum Ende dieser Zeitschrift. Dem Bruch mit Gogarten folgte 1934 der Streit mit Brunner über die »natürliche Theologie« (s. Lit. zu Anknüpfung).

2. Dialektik der Offenbarung

Die Offenbarung Gottes hat dialektische Struktur, weil sie das seinem Wesen nach einander Ausschließende vereint: Gott und Mensch, Ewigkeit und Zeit. Die Einheit beseitigt den Gegensatz nicht, sondern vereint das Entgegengesetzte als solches. Darum ist sie als Einheit »unanschaulich« und nur von dem Gegensatz her, den sie vereint, zu beschreiben.
Für den Menschen ist Gott der unbekannte Gott, und zwar ist er nicht nur zufällig oder vorläufig unbekannt, sondern: »Unbekannt ist und bleibt uns Gott« (Römerbrief2, 59). Gerade in seiner Offenbarung wird Gott als der unbekannte Gott erkannt (88. 395). Der mit der neukantischen Religionsphilosophie (H. Cohen) sich berührende Begriff des unbekannten Gottes, dessen unbedingte Wirklichkeit dem Menschen nur als »Grenze« seines Daseins und Denkens gegenwärtig ist, war außer Barth auch Bultmann wichtig (I, 18), während Gogarten nur die »radikale Scheidung zwischen Gott und Mensch« betonte (ZZ 1924 H. 7, 15). Hier besteht eine gewisse Verwandtschaft der d. Th. zur Beschreibung Gottes als des »ganz Anderen« in R. Ottos Buch »Das Heilige« (1919), die aus der gleichen geistigen Situation hervorging. Im Unterschied zu Otto jedoch beschrieb die d. Th. den unbekannten Gott nicht als religionspsychologisches Phänomen, sondern vollzog ein jede Beschreibung und jedes Gotteserlebnis in Frage stellendes theologisches Urteil.
Solche Schärfe gewann die Scheidung zwischen Gott und Mensch nur dadurch, daß sie als Gericht über den in seiner Endlichkeit sich verselbständigenden Menschen verstanden wurde. So füllte sich die Idee des unbekannten Gottes der neukantischen Religionsphilosophie mit der verzehrenden Wirklichkeit des lebendigen Gottes der Bibel. In der 2. Ausg. von Barths »Römerbrief« tritt das beherrschend hervor. »Der wahre Gott ist aber der aller Gegenständlichkeit entbehrende Ursprung der Krisis aller Gegenständlichkeit, der Richter, das Nichtsein der Welt...« (57). Gerade in Jesus wird die Begrenzung und Aufhebung des Menschen durch den unbekannten Gott anschaulich, und unter Umgehung dieser im Kreuz offenbaren »Todeslinie« gibt es keine Gemeinschaft mit Gott. Daß wir »die Gnade Gottes nicht anders als im Gericht« erfahren, war auch für Gogarten ein fundamentaler Zug der gemeinsamen Position (Gericht oder Skepsis 12), trotz seiner früh geäußerten Bedenken gegen die Dialektik des Endlichen und Unendlichen (ZZ 1923 H. 1, 33 ff.). Als »Theologie der Krisis« brach die d. Th. am sichtbarsten mit dem von Ritschl her geläufigen Gottesverständnis, das von Gericht (: IV) und Zorn Gottes (: IV) nichts wußte. Andererseits ist hier eine Nähe zu der um die gleiche Zeit blühenden Lutherforschung (K. Holl) spürbar.
Die Krisis wurde nicht um ihrer selbst willen, etwa im Sinne eines weltanschaulichen Pessimismus, betont. Gerade durch die Verneinung hindurch - aber auch nur so - wird in Christus der Mensch von Gott bejaht (Römerbrief 149). »Gericht ist nicht Vernichtung, sondern Aufrichtung« (53). Das ist nicht so gemeint, als ob das Gericht als solches Gnade wäre. Barths Formulierungen von 1922 legen freilich oft dieses Mißverständnis nahe - etwa wenn es heißt, das Nein sei das Ja (86), das Nichtsein aller Dinge ihr wahres Sein (52), und die göttliche Antwort auf die Existenzfrage des Menschen sei mit der Frage identisch (Ges. Vorträge I, 161). Ähnlich Bultmann: »Dies Gericht kennen, heißt aber auch, es als Gnade kennen; denn es ist Erlösung, daß der Mensch von sich selbst frei wird« (I, 19). Solchen Sätzen entsprechen christologische Formulierungen, die das Kreuz als das Heilsereignis schlechthin herausstellen und der Auferstehung den Charakter eines besonderen Geschehens abzusprechen scheinen. Barth schrieb 1922, daß »die Erweckung Jesu kein Ereignis von historischer Ausdehnung neben den andern Ereignissen seines Lebens und Sterbens ist, sondern die unhistorische Beziehung seines ganzen historischen Lebens auf seinen Ursprung in Gott« (175). Das kommt der späteren These Bultmanns nahe, die Rede von der Auferstehung Christi sei nur »der Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes« (Kerygma und Mythos I, 47 f.). Aber wie Bultmann »Bedeutsamkeit« nicht als willkürliche Deutung versteht, sondern von einer »Tat Gottes« als Grund des Auferstehungsglaubens spricht, so heißt es bei Barth, in Christus werde die Ebene der Weltwirklichkeit von einer andern Ebene göttlicher Wirklichkeit »senkrecht von oben« durchschnitten, und eben in der Erweckung Jesu berühre die neue Welt des Geistes die alte Welt des Fleisches (5 f.). Das Gericht ist nicht als solches Gnade, das Kreuz nicht als solches Auferstehung, sondern daß in der Anschaulichkeit des Gerichtes die unanschauliche Gerechtigkeit offenbar wird, das ist die »unmögliche Möglichkeit«, das Wunder der Treue Gottes, die unanschauliche Einheit des einander Ausschließenden.
Was wie eine Verflüchtigung der Auferstehung aussieht, ist das Moment der Unanschaulichkeit, das jener Einheit eignet, sofern sie nicht bloß Verwischung des Gegensatzes ist. Hier zeigt sich allerdings, daß der Gegensatz Gott-Mensch in der d. Th. nur statisch, als Sichausschließen fester Inhalte, nicht auch (wie etwa bei Hegel) dynamisch, als Gegensatz des im dialektischen Prozeß Geeinten, gefaßt wurde. Die schwerwiegende Konsequenz der statischen Entgegensetzung von Gott und Mensch war die Ablehnung des Eingehens Gottes in die Geschichte. Barth wußte sich darin von vornherein spezifisch ref. Tradition verbunden (Ges. Vorträge I, 205). Der Schnittpunkt der göttlichen mit der menschlichen Ebene in Jesus hat auf der letzteren »gar keine Ausdehnung« (vgl. Bultmanns Reduktion des Heilsereignisses auf sein bloßes »Daß«). Im Leben Jesu sind nur die »Einschlagstrichter« der unbekannten Wirklichkeit Gottes, nicht etwa diese selbst erfaßbar. In der Auferstehung »berührt die neue Welt des hl. Geistes die alte Welt des Fleisches. Aber sie berührt sie wie die Tangente einen Kreis, ohne sie zu berühren...« (Römerbrief 6). Wenn Gott nicht einmal in Jesus wirklich in die Geschichte eingeht, ist die durch den Geist im Glauben stattfindende Wahrnehmung Gottes erst recht nicht als »Erlebnis« psychologisch greifbar. Glaube ist nur »Hohlraum« (62). Entsprechend ist die Kirche »die nicht zu umgehende geschichtliche Fassung, Leitung und Kanalisierung des selbst nie Geschichte werdenden göttlichen Tuns an den Menschen. Immer ist die göttliche, die sinngebende, die erfüllende Form diesen seelisch-geschichtlichen Inhalten gegenüber ein Jenseitiges, ein unverwischbar Anderes« (105). Das im Nein verborgene Ja blitzt nur je und je auf, in jenem kierkegaardschen »Augenblick«, der »gegenüber allem Vorher und Nachher etwas anderes, Eigenes, Fremdes ist« (86). Die barmherzige Zuwendung Gottes ist »Wunder« in dem Sinne, daß »ihre geschichtliche und seelische Seite... immer ihre Unwahrheit« bleibt (77), ist mißverständlich, wenn auch »Einschlagstrichter«, »Zeugnis«, »Hinweis«.
Diese Nichtausweisbarkeit der Offenbarung war, obschon ihre Dialektik zunächst nur von Barth so weit entwickelt wurde, gemeinsame Überzeugung der d. Th., durch die sie sich gegen die »positive« Theologie abgrenzte (Gogarten, Gericht oder Skepsis 12).

3. Dialektik der theologischen Aussagen

Theologische Aussagen müssen in ihrer Form der Dialektik der Offenbarung Rechnung tragen. Barth hat 1920 die Eigenart biblischen Denkens und Redens darin erblickt, »daß es aus einer Quelle fließt, die über den religiösen Begriffsgegensätzen z. B. von Schöpfung und Erlösung, Gnade und Gericht, Natur und Geist, Erde und Himmel, Verheißung und Erfüllung liegt. Wohl setzt es ein, jetzt auf dieser, jetzt auf jener Seite der Gegensätze, aber es führt sich nie pedantisch zu Ende, es beharrt nie bei den Konsequenzen, es verhärtet sich weder in der Thesis, noch in der Antithesis, es versteift sich nirgends zu endgültigen Positionen oder Negationen... Es ist durch und durch dialektisch« (Ges. Vorträge I, 84). Zwei Jahre später beschrieb Barth Dialektik als Verbindung dogmatischen und kritischen Redens »unter beständigem Hinblick auf ihre gemeinsame Voraussetzung, auf die lebendige, selber freilich nicht zu benennende Wahrheit, die in der Mitte steht und beiden, der Position und Negation, erst Sinn und Bedeutung gibt« (171). Jene entscheidende Mitte ist die Einheit Gottes mit dem Menschen in Jesus Christus (172), von der es im »Römerbrief« hieß, daß »wir Gott nicht anders als in der Zweiheit begreifen können, in der dialektischen Zweiheit, in der eins zwei werden muß, damit zwei wahrhaft eins sei« (342). Um das unanschauliche Wesen dieser Einheit zu wahren, ist der Dialektiker genötigt, jede Aussage durch eine entgegengesetzte zu korrigieren, »Position und Negation gegenseitig aufeinander zu beziehen, Ja am Nein zu verdeutlichen und Nein am Ja, ohne länger als einen Moment in einem starren Ja oder Nein zu verharren« (Ges. Vorträge I, 172). Die dialektische Zuordnung der Aussagen soll nicht etwa jene unanschauliche Mitte konstruieren, sondern setzt den Selbsterweis der Wahrheit, Gottes eigenes Reden, voraus (174; ähnlich Christliche Dogmatik, 1927, 456 ff.). Durch den Verzicht auf das direkte Aussprechen jener Mitte hat Barth unter Berufung auf das Extra Calvinisticum ein spezifisch ref. Anliegen wahren wollen, »im Protest gegen die himmelstürmende Geradlinigkeit« Lutherscher Realpräsenz, die »aus dem Geheimnis ein Faktum« mache (Ges. Vorträge I, 205; ZZ 1923 H. 4, 51).
Gogarten hat zunächst Barths dialektischen Ansatz bejaht (ZZ 1923 H. 2, 10 ff.), obwohl er schon 1922 die »Entscheidung« für eine endliche Erscheinung als »Anfang, Mitte und Ende« in einer Weise forderte, die mit Barths ref. »finitum non capax infiniti« kaum vereinbar war (ZZ 1923 H. 1, 44). Noch 1924 heißt es, daß nicht nur die von unten, von der Situation der Menschen ausgehende Theologie, sondern auch das einfache Wort des Glaubens wegen der in ihm ausgesprochenen Beziehung »von ganz und gar dialektischer Substanz« ist (ZZ 1924 H. 7, 17). Dagegen anerkennt Gogarten 1926 nur noch eine Dialektik theologischer Aussagen, insofern sie der Dialektik menschlichen Daseins verhaftet sind. Das Verhältnis des Menschen zu Gott ist »schlechthin undialektisch« (ZZ 4, 1926, 459). Diese Wendung hängt wohl damit zusammen, daß Gogarten inzwischen (ebd. 290 ff. und »Ich glaube an den dreieinigen Gott«, 1926) die Theorie F. Ebners von der Ich-Du-Beziehung als Lebensgrund des »Wortes« für seine Theologie fruchtbar gemacht hatte. Brunner hatte das schon 1924 in seinem Schleiermacherbuch »Die Mystik und das Wort« getan und damit Barths Mißfallen erregt (ZZ 1924 H. 8, 58 Anm.).
Bultmann hat noch 1926, weil das unsere Existenz neubegründende Geschehen ewig und daher nicht in einem Satz zu beschreiben sei, dialektisches Reden im Sinne Barths für theologisch unumgänglich gehalten (ZZ 4, 1926, 44). Doch hat er mit seiner Ablehnung eines »übergeschichtlichen« Glaubensinhaltes (I, 79 f.) implizit auch Barths Deutung des ewigen Offenbarungsgeschehens als »Urgeschichte« (Overbeck) verworfen. So läßt die Rede von Gott eigentlich gar kein dialegesthai, sondern nur Verkündigung zu. Der Ereignischarakter des theologischen Redens rückt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. 1928 erblickte Bultmann das Wesen der d. Th. nur noch in der Einsicht in die Geschichtlichkeit des Menschen (als Sein- können zu immer verschiedenen Möglichkeiten) und in die entsprechende Geschichtlichkeit des Redens von Gott (I, 118). Die Dialektik ist nun wie bei Gogarten auf das menschliche Dasein beschränkt.

4. Gründe des Zerfalls

Die innere Problematik der d. Th. wurzelt darin, daß nach Barths statischer Fassung der Dialektik der unbekannte Gott als solcher nirgends in die Geschichte eingeht, sondern das Endliche immer nur »berührt«. Wie ist dann ein - wenn auch durch Offenbarung vermitteltes - menschliches Bewußtsein von dieser »Grenze« alles Menschlichen möglich? Offenbar für Barth nicht so, daß die Wirklichkeit des unbekannten Gottes einem Endlichen verbunden ist und also von dem dieses Endliche (den Menschen Jesus) erfassenden Bewußtsein mittelbar ebenfalls erfaßt wird. Das wäre die von Barth 1923 abgelehnte Luthersche Realpräsenz. Dagegen hielt Barth menschliches Bewußtsein von Gott nur als unanschauliches Wunder, als »actus purus« des Hl. Geistes für möglich. Doch selbst wenn so ein geistgewirktes Innewerden der unanschaulichen Wirklichkeit Gottes verständlich wird: die Möglichkeit einer sinnvollen, wenn auch noch so dialektischen Aussage darüber bleibt dunkel. Macht man also damit Ernst, daß die menschliche Wirklichkeit Jesu als solche in keinem näheren Verhältnis zu Gott steht als andere endliche Dinge, dann wird man am besten mit Bultmann auf direkte Aussagen über Gott verzichten und sich beschränken auf Aussagen über den Menschen, sofern ihm jenes Innewerden widerfahren kann. Auf diesem Wege ist gewiß die Nichtausweisbarkeit der Offenbarung konsequent gewahrt. Fraglich bleibt nur, ob der »actus purus« der göttlichen Offenbarungstat durch die Rede von darauf angelegten Möglichkeiten des Menschen etwa doch bereits gedanklich vorweggenommen ist. Barth mußte hier eine neue anthropologische Umklammerung der Theologie erblicken ( Anthropologie: III, 4c). Wollte er ihr ausweichen und weiter von der in Jesus Christus offenbaren »Urgeschichte« Gottes mit dem Menschen reden, so mußte er umgekehrt die These der gleichmäßigen Ferne alles Endlichen von Gott aufgeben. In der Tat hat Barth die Gleichheit alles Geschöpflichen vor Gott immer entschiedener durch ein hierarchisch abgestuftes System von Ähnlichkeitsbeziehungen ( Analogie), die durch den Akt der Offenbarung beleuchtet werden, ersetzt. So konnte er nicht nur die Einzigkeit der Christusoffenbarung als die der höchsten, alle andern begründenden und beleuchtenden Analogiestufe erklären, sondern auch die Möglichkeit von Aussagen über Gott durch die Ähnlichkeit alles Geschaffenen mit ihm begründen. Das Analogieschema ermöglichte den Ausbau der »Urgeschichte« zu einer christozentrischen Dogmatik ohne Rücksicht auf weitere erkenntnistheoretische und philosophische Voraussetzungen. Freilich: Die ursprünglich auch von Barth geteilte Voraussetzung der d. Th., daß die Offenbarung »Antwort« auf die »Frage« der menschlichen Existenz sei, war hier nicht mehr als kritischer Maßstab der theologischen Aussagen wirksam, so daß Barths Dogmatik den anderen als mythologische Rede erscheinen mußte.
Während Barth und Bultmann den Ausgangspunkt der d. Th. in entgegengesetzter Richtung entwickelten, wurde er von Brunner seit 1924, von Gogarten seit 1926 im Prinzip aufgegeben, indem beide die Problematik der theologischen Aussage beiseite schoben und die personale Ich-Du-Beziehung sowie das zugehörige Wortverständnis ihrer Deutung des Verhältnisses von Gott und Mensch zugrunde legten ( Person). Sie zogen sich dadurch ebenso wie Bultmann Barths Vorwurf der Anknüpfung an anthropologische Voraussetzungen zu. Da Brunner die Ich-Du-Beziehung als Modell der Gottesbeziehung benutzte, mußte er die wesentlichen Züge der personalen Struktur des Menschen (seine als »formale imago Dei« verstandene »Worthaftigkeit«) für auch durch die Sünde nicht zerstört halten und als »Anknüpfungspunkt« der christlichen Verkündigung werten. Gogarten sah ebenfalls in der Personalität des Menschen, und zwar in ihren je besonderen geschichtlichen Ausprägungen (bes. auch in Kultur und Staat), das von der Verkündigung anzusprechende und so vorauszusetzende Gegenüber. Beide haben wie Bultmann den ursprünglich auch bei Barth wirksamen Bezug der Theologie zur »Frage« des Menschen gewahrt. Aber ihr personales Schema hat faktisch die kritische Gewalt der Offenbarung gegenüber allem von Gott Verschiedenen eingeengt.
So ist der ursprüngliche Ansatz der d. Th. bei keinem ihrer Repräsentanten erhalten geblieben. Daß die Offenbarung in Jesus Christus Gott als den unbekannten Gott offenbart und daß darin die Krisis über alles Fleisch beschlossen ist, das vermochte keine der Richtungen, die aus dem Zerfall der d. Th. hervorgingen, so deutlich zu sagen wie Barth 1922.

Außer der Lit. zu den im Text genannten Theologen: P. ALTHAUS, Theol. u. Gesch. (ZSTh 1, 1923/24, 741-786) - M. STRAUCH, Die Theol. K. Barths, 1924 - R. SCHÜTZ, Kritisches z. Theol. d. Krisis (Th StKr 96/97, 1925, 263-288) - W. LÜTTGE, D. Th., 1925 - GUST. KRÜGER, The Theol. of Crisis (HThR 19, 1926, 227-258; Lit.) - R. KÖHLER, Kritik der Theol. d. Krisis, 1926 - P. BURCKHARDT, Was sagt uns die Theol. K. Barths u. seiner Freunde?, 1927 - B. DÖRRIES, Der ferne u. d. nahe Gott, 1927 - H. W. SCHMIDT, Zeit u. Ewigkeit, 1927 - J. W. SCHMIDT-JAPING, Die Christologie der d. Th., 1927 - K. LEESE, Der dt. Idealismus u. d. Christentum, 1927 - Aufsätze v. R. BULTMANN, GERH. KRÜGER, H. KNITTERMEYER u. a. in ZZ, bes. Jg. 1926-27 - RGG2 I, 1909 ff. (Lit.) - W. WIESNER, Das Offenbarungsproblem in der d. Th., 1930 - TH. SIEGFRIED, Das Wort u. d. Existenz, Auseinandersetzung mit der d. Th., 3 Bde, 1930-33 - A. KELLER, Der Weg der d. Th. durch die kirchl. Welt, 1931 - A. SANNWALD, Der Begriff der Dialektik u. die Anthropologie, 1931 - LThK III, 279 ff. (Lit.) - J. C. FRANKEN, Krit. Philosophie u. d. Th., 1932 - E. REISNER, Kennen, Erkennen, Anerkennen. Unters. üb. d. Bedeutung v. Intuition u. Symbol in der d. Th., 1932 - G. FEUERER, Der Kirchenbegriff der d. Th., 1933 - H. RUST, Dialektische u. krit. Theol., 1933 - F. KATTENBUSCH, Die dt. ev. Theol. seit Schleiermacher, 19346 - H. SCHLEMMER, Von K. Barth zu d. Dt. Christen, 1934 - W. ELERT, K. Barths Index d. verbotenen Bücher, 1935 - DERS., Zw. Gnade u. Ungnade, 1948 - H. SCHINDLER, Barth u. Overbeck. Beitr. z. Genesis der d. Th., 1936 - H. EKLUND, Theol. der Entscheidung, 1937 - J. CULLBERG, Das Problem der Ethik in der d. Th., Uppsala 1938 - J. FEHR, Das Offenbarungsproblem in dial. u. thomist. Theol., 1939 - H. U. V. BALTHASAR, Analogie u. Dialektik (Divus Thomas 22, 1944, 171-216) - C. VAN TIL, The New Modernism. An Appraisal of the Theol. of Barth and Brunner, 1946 - B. E. BENKTSON, Den naturliga teologiens problem hos K. Barth (Diss. Lund), 1948 - H. LEISEGANG, Hegel, Marx, Kierkegaard. Zum dial. Materialismus u. z. d. Th., 1948 - E. RIVERSO, La Teologia existenzialistica di K. Barth, Neapel 1955 - G. MERZ, Die Begegnung K. Barths mit der dt. Theol. (KuD 2, 1956, 157-175) - E. THURNEYSEN, Die Anfänge. K. Barths Theol. der Frühzeit (Antwort, K. Barth z. 70. Geb., 1956, 831-864) - W. LOHFF, Glaube u. Freiheit, 1957, 156 ff. - G. WINGREN, Die Methodenfrage der Theol., 1957.

W. Pannenberg
aus: Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, Bd. 2, S. 174ff.
(c) J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)
Mit freundlicher genehmigung des Verlages veröffentlicht. Bitte beachte Sie die Internetseiten der 4. Auflage der RGG: http://www.mohr.de/rgg4.html

 

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