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Prädestination
I. Religionsgeschichtlich
Unter P. wird die über den Menschen und seine Heilsteilhabe oder Heilsverschlossenheit gefallene Gottesentscheidung verstanden, angesichts derer der Mensch nicht in der Lage ist, sich durch freie Willensentscheidungen um sein Heil zu bemühen. Es ist über ihn im Verhältnis zum Ausgang seines religiösen Weges vorentschieden. Es gehört zu den Grundkomponenten allen religiösen Daseins, daß der Mensch sich auch insofern unter der Verfügungsgewalt seines Gottes weiß, als die Gottheit frei ist, über Annahme oder Ablehnung des Kultes, des Gebetes wie aller Frömmigkeit zu entscheiden. Insofern hat van der Leeuw (RGG2 IV, 1368 f.) mit Recht schon im sog. ð »Macht«-Glauben den Gedanken der P. angelegt gefunden. R. ð Otto hat den Gedanken der P. in seiner Phänomenologie des »tremendum mysterium« und der »maiestas« wiedererkannt. Ob es angemessen ist, das der P. zugrunde liegende religiöse Moment als »Kreaturgefühl« wiederzugeben, muß aber fraglich sein. Zwar stehen providentia-Glaube, das Verfügen der Gottheit über das Dasein des Menschen und P. in nahem Kontakt, aber die P. bezieht sich eben speziell auf Heil oder Unheil. Daher wird man den antiken Glauben an die waltende Moira wie einen allgemeinen Schicksalsglauben (ð Schicksal: I) nicht einfach unter die Vorstufen der P. zählen (Chant I, 80 f.). Es ist auch zu beachten, daß die P. nicht von vornherein mit einer Negation des freien menschlichen Willens identisch ist, wie R. Otto zutreffend erhebt. Zwar hat sich die Diskussion um die P. im Islam (s. u.) zentral der Frage des freien Willens zugewendet. Das rührt aber daher, daß die P.slehre im Islam eng mit einem an strengen Fatalismus grenzenden Führungsglauben verbunden ist. Der Prädestinierte kann ja im übrigen alles wollen oder nicht wollen. Er kann auch fromm sein wollen und fromm sein, nur das Heil bleibt ihm verschlossen. Daher ist es auch fraglich, ob man die ð Karma-Lehre als Spielart der P. auffassen darf (so H. W. Schomerus). Zwar ist im Karma des Menschen Ergehen vorgeformt, und er geht am Leitseil des Karma »wie« prädestiniert durch seine Taten durchs Leben. Aber der Ausgang ist eben nicht festgelegt. Man kann des Karma Bindung durchbrechen. Damit aber ist die P. verlassen. Am klarsten zeigt die ð Stoa bei Kleanthes wie ð Seneca und ð Epiktet, daß ein strenger Schicksalsglaube nicht die P. einschließt. Aber in allen religiösen Schritten, die von tiefer Heilsungewißheit umgetrieben sind, legt sich die P. als Frage an. Überall, wo das religiöse »endliche« Heil in der souveränen Vorentscheidung einer Gottheit festgelegt erscheint, bricht sich die P. Bahn. Ihr theoretischer lehrhafter Niederschlag aber ist nicht nur selten in den Religionen, sondern er ist zugleich schwer belastet von dem irrationalen Charakter der P. So weist R. Otto darauf hin, daß die P. »geheimnisvoller Deute-name als ideogrammatischer Hinweis auf ein schlechthin irrationales Urverhältnis« sei, das keine rationale Explikation erlaube. Das zeigt die lange Geschichte der Erörterung über die P. im Christentum (ð Prädestination: II-IV) wie im Islam.
Der ð Islam (: I, 3. 6) ist in seiner Behandlung der P. dadurch bestimmt, daß der ð Koran keine eindeutigen systematischen Aussagen über das Verhältnis der P. zu der Gotteslehre, der Anthropologie wie dem Heilsstreben enthält. ð Muhammed trug die einzelnen Züge seiner Impressionen Gottes vor, wie sie ihm im Augenblick wichtig wurden. Zwar hält sich der Führungsglaube von Anfang an bestimmend durch. Jedoch so eindeutig die Abhängigkeit der Heilsgewinnung von Allahs Willen auch ist, so wenig konsequent sind diese Ansätze auf Menschen und Heilsstreben durchgezogen. Muhammeds Auffassung von der P., dem Kdr Allahs, wurde gegen Ende seiner Wirksamkeit zwar strenger, aber nicht ausgeglichener. So hinterließ er den Theologen des Islam den Anstoß, der schon vor 700 zu den harten Auseinandersetzungen der Kadariya, wie die Mu'tazila genannt wurde, führte. Es ging um die Einordnung der P. in den Gesamtzusammenhang von Glauben, Werken und Freiheit. Die endgültig orthodoxe Auffassung, die ash'aritische Lehre, sprach dem Menschen jegliche Tätigkeit ab (vgl. ð Islam: I, 6).
In der indischen Religionsgeschichte treten prädestinatianische Gedanken mit der ð Bhagavadgîtâ deutlich hervor. Im XVI. Gesang werden in den ersten Versen die zur ð bhakti führenden Tugenden, die die ð Erlösung bedingen, als göttliche Bestimmung (daivî sampad) erklärt, denen die dämonische Bestimmung schroff gegenübersteht. Vers 5: »Göttliche Bestimmung gereicht zur Befreiung, die dämonische aber zur Bindung.« Das in XVIII, 61 gebrauchte Bild, daß der Gott, der in aller Wesen Herzen wohnt, diese durch seine Maya-Kraft durch die Welt wirbelt wie Figuren auf einer Puppenbühne, gibt die notwendige Konsequenz. Die theoretischen Schlußfolgerungen aus diesen Gîtâ-Aussagen sind im Kreise der Vishnuiten zumal durch Madhva (ca. 1199 bis 1278) gezogen. ð Vishnu allein ist handlungsmächtig. Die Seelen aber zerfallen in erlöste und unerlöste, nach Vishnus Bestimmung. Außer Vishnus Gattin Lakshmî, die ewig erlöst ist, machen alle erlösungsbestimmten Wesen - auch die Götter - einen langen Läuterungsweg durch. Die andern aber wandern ewig im Sansâra umher. Auch die Lehre des ð Jinismus, der erlösungfähige Wesen (bhavyas) von nicht erlösungsfähigen unterscheidet, gehört in die Nähe der P., obwohl für die Jainas kein bestimmender Gott hinter dieser Teilung steht. - Vgl. ð Determinismus, 1.
& R. OTTO, Das Heilige, (1917) 195829.30, 105 ff. - ERE X, 225 ff. - I. GOLDZIHER, Die Richtungen d. islam. Koranauslegung, (1920) 19522 - EI1 II, 647 f. (kadar) - H. W. SCHOMERUS, Indische u. christl. Enderwartung u. Erlösungshoffnung, 1941 - W. CH. GREENE, Moira. Fate, Good and Evil in Greek Thought, Cambridge/Mass. 1944 - W. M. WATT, Free Will and Predestination in Early Islam, London 1948 - H. V. GLASENAPP, Die Philos. der Inder, (1949) 19582 - DERS., Glaube u. Ritus der Hochreligionen, 1960, 126 f. - H. RINGGREN, Fatalism in Persian Epics (UUA 1952, 13) - DERS., Studies in Arabian Fatalism (ebd. 1955, 2; s. Reg.).
(C. H. Ratschow)
II. Im NT
1. Der Gedanke der P. erscheint im NT vor allem im Zusammenhang der Verben horizein, proorizein und protithesthai, die in der Vulg. mit praedestinare (Röm 1, 4; 8, 29 f.; Eph 1, 5. 11) wiedergegeben werden. Die Substantive im Umkreis des P.sgedankens sind prothesis (Vulg.: propositum; Röm 8, 28; 9, 11 u. ö.; Eph 1, 11; 3, 11 [Vulg.: praefinitio]), boulê, thelêma, bisweilen auch prognôsis (Vulg.: praescientia; 1 Petr 1, 2; Apg 2, 23 u. a.). Die Übersicht zeigt, daß im Gedanken der ð Erwählung (: II) ein P.sgedanke mitenthalten sein kann. Eine Festlegung auf ein bestimmtes Vokabular ist bei der Erhebung des Gedankens nicht möglich.
2. Während im AT ein klar entwickelter Erwählungsglaube bezeugt ist (ð Erwählung: I), begegnen wir doch keiner expliziten P.svorstellung. Sie tritt erst im Judentum mit der Vorstellung vom »hl. Rest« im Zusammenhang der ð Apokalyptik auf (4 Esr) und sprengt das Theologumenon von der Erwählung des ganzen Volkes Israel als eines Kollektivs. Die Gedanken des hl. Restes und der P., verbunden mit einer ð Eschatologie (: III), treten am klarsten in den Texten von ð Qumran hervor. Da hier auch der Gedanke einer Rechtfertigung aus Gnade (1 QS, 1 QH) begegnet, erscheint der P.sgedanke nahezu als seine logische Folge. Freilich wird die P. nirgends als theologisches Problem empfunden, noch auch ein Ausgleich zwischen Freiheit und Gnade, Gehorsamsethik und P. gesucht, sondern fast naiv ihr Nebeneinander bezeugt. - In der Verkündigung Jesu finden sich zwar prädestinatianische Anklänge, aber keine P.slehre. Sie läßt sich weder Mk 4, 11 f. entnehmen, wo die ð Verstockungs-Theorie eine dogmatische Korrektur der späteren Gemeinde darstellt und Jesus eine ihm nicht eigene Gleichnistheorie in den Mund gelegt wird (ð Gleichnis: II, 3), noch Mt 22, 14: »Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt«, denn hier wird in der Linie des AT die innere Einheit von Gehorsam gegenüber der Berufung und Erwählung ausgedrückt. Gemeindetradition und Evangelistenredaktion mögen an verschiedenen Stellen den Erwählungsgedanken prädestinatianisch pointiert haben (Mk 13, 20.22.27; Mt 11, 25 ff.; 25, 34 u. a.), ändern aber im ganzen nicht das Bild, welches explizite P.szüge vermissen läßt.
3. Zu einer theologisch durchreflektierten P.sanschauung kommt es erstmalig bei ð Paulus. Der ð Römerbrief wird freilich durch eine Isolierung von c. 9-11 vielfach voreilig als Basis für eine P.slehre benutzt. Es ist jedoch zu beachten, daß die Gedankengänge einer P. des Glaubens und des Unglaubens an Jesus Christus mit der Lehre von ð Gnade (: III, 2) und ð Glauben (: III, 4a) engstens verknüpft sind und allein in diesem Rahmen gesehen werden dürfen. Im Röm führt die Entfaltung des Themas: Gottes Gerechtigkeit ist als Gnadengeschenk in Jesus Christus den Glaubenden offenbart worden - zu einer Aufnahme der doppelten Antithese: nicht Werke, sondern Gnade (3, 24), und: nicht Werke, sondern Glaube (c. 4), so daß der Glaube als Gehorsamstat und Entscheidung zugleich Gnade ist. Ist bereits damit das Problem der P. gegeben, so wird es noch zugespitzt durch die Frage nach dem heilsgeschichtlichen Prärogativ Israels (vgl. das prôton 1, 16; 2, 9 f. sowie 3, 1 ff.), des von Gott erwählten Volkes, von dem nur ein Rest zum Glauben an die Offenbarung in Christus gelangte, die Mehrheit aber die Feindschaft gegen Jesus festhielt. Die c. 9-11 erweisen sich somit als eine Konkretisierung des P.sgedankens im Blick auf Israel, während 8, 28 ff. locus classicus für den Gedanken selbst bildet. Hier ist an den Begriff prothesis (V. 28) eine kunstvoll verschlungene Kette von Verben angehängt, die von Gottes prävenierendem Handeln am Menschen sprechen. Die Kette wird lediglich beim Verb »vorherbestimmen« durch eine längere Aussage unterbrochen, um das Ziel der P. als »Gleichgestaltetwerden nach dem Bilde seines Sohnes, auf daß er sei der Erstgeborene unter vielen Brüdern« (V. 29) zu beschreiben. Damit wird der P.sgedanke an das Christusgeschehen gebunden und Ausdruck eines soteriologischen Handelns Gottes, nicht also eine hiervon ablösbare metaphysische Lehre oder Spekulation. Auch der Glaube ist nicht menschliche Leistung, sondern Gnadengeschenk. Wie aber steht es dann mit der Erwählung Israels? Paulus löst dieses Problem durch eine Uminterpretation des Begriffes Israel (9, 6b; ð Israel im NT): Die Israel gegebenen Verheißungen beziehen sich nicht auf das historisch-empirische Volk, sondern auf das eschatologische. Damit wird zugleich die P. auf den Glaubenden als einzelnen bezogen und radikal auf Gottes Vorsatz zurückgeführt (hê kat eklogên prothesis tou theou 8, 28; 9, 11; 11, 2; vgl. Eph 1, 11; 3, 11; 2 Tim 1, 9). Des Menschen »Wollen und Laufen« hilft nichts, sondern allein »Gottes Erbarmen« (Röm 9, 16). Die aus der P. zum Heil und zur Verstockung und aus Gottes absoluter Allmacht gefolgerte Frage der ð Theodizee wird mit dem Hinweis auf die Schriftgemäßheit einer »praedestinatio gemina« abgetan (9, 7-13. 17 f.) und die menschliche Logik als Maßstab für ein Urteilen über Gottes P.shandeln abgewiesen (9, 20 f.). Die theologische Unmöglichkeit, aus solchen Aussagen eine schlüssige Lehre zu entfalten, ergibt sich aus Phil 2, 12b. 13: »Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern; denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen« (Luther). Die hier formulierte Anschauung von der Paradoxie der menschlichen Existenz vor Gott liegt im Röm ebenso vor, wenn man beachtet, daß c. 10 die Verwerfung des einzelnen als dessen eigene Schuld betont, insofern er nicht dem Evangelium horchend gehorcht (10, 16 f.). Und wenn in c. 11 erneut der P.sgedanke aufgenommen wird, so folgt sofort in 12, 1 f. der Imperativ zur christlichen Ethik. - Der P.sgedanke dient also Paulus dazu, einerseits die Verheißung für das erwählte Volk Israel festzuhalten, anderseits - bei aller individuellen Verantwortung und Betonung der Glaubensentscheidung des einzelnen - aus dem Glaubendürfen heraus zu bekennen, daß hier nicht Leistung zum Ruhm des Menschen vorliegt, sondern Gottes Gnade wirksam ist. Im Akt des Glaubens also offenbart sich Gottes P., sie läßt sich nicht als kausales »prius« objektivieren.
4. In gleicher Konzeption findet sich der P.sgedanke im JohEv, wo er als ein roter Faden des Werkes gelten darf, auch wenn eine thematische Entfaltung des Problems fehlt. Korrelativ stehen die Worte Jesu, daß nur der zu ihm kommt, den der Vater zieht (6, 44), und daß die ungläubigen Juden nicht glauben können, weil sie vom Teufel stammen (8, 43 ff.). Mag auch eine gnostische Begrifflichkeit den sog. johanneischen Dualismus (ð Johannesevangelium, 2c. 3) prägen und damit den Anschein erwecken, als seien die Menschen in zwei determinierte Klassen geschieden, so ist doch eine Dualität der Entscheidung paradox mit dem Gedanken der P. verbunden. Immer wieder »kommt« nur der zu Jesus, dem es vom Vater gegeben ist (6, 37. 65; 17, 2.6.9. 12. 24), und bleibt der im Zirkel des Unglaubens, der blind und dessen Herz verhärtet ist (12, 39). Und doch ist Jesus selbst ebenso wie sein Wort die Krisis, die in der Entscheidung des Menschen zum Tragen kommt. Auch im JohEv ist der tiefere Sinn des P.sgedankens, den Glaubenden bekennen zu lassen, daß nicht er selbst, sondern Gott bzw. sein Sohn Jesus den Glauben schenkt (vgl. 15, 16), zu dem sich der einzelne in actu entscheidet. Wieder zeigt sich, daß solche P.saussagen nicht objektiviert und neutral konstatiert werden dürfen; sie haben letztlich doxologischen Sinn.
5. In den übrigen Schriften des NT finden sich prädestinatianische Wendungen oder Anklänge, aber keine thematische Linie wie bei Paulus und Johannes. Der Verfasser des 1 Petr etwa überträgt aus dem AT aufgenommene Erwählungsgedanken auf die Kirche als »auserwähltes Geschlecht« und läßt die Ungläubigen zu ihrem Los bestimmt sein (2, 8 f.). Hier wie auch in den Past wird die P. jedoch mehr formelhaft zur Überhöhung des Erwählungsgedankens gebraucht und damit entschärft. Stärker sind wieder prädestinatianische Züge in der Apk, wobei sich freilich nicht immer entscheiden läßt, wie weit die aufgenommenen Bilder der jüd. Apokalyptik (bes. das Lebensbuch 13, 8; 17, 8; 21, 27) theologisch gepreßt werden dürfen. Der doxologische Sinn und die soteriologische Dominante der P. wird am klarsten in der Danksagung des ð Epheserbriefes 1, 3-14. Sollte hier wirklich ein Taufhymnus von 2 Strophen (1, 5-8. 9-12a) vorliegen, der zur Eulogie umgeformt ist, so wäre damit zugleich ein Hinweis gegeben auf den Sitz im Leben für die Fortentwicklung des Erwählungs- zum P.sgedanken im Urchristentum. Und hat der P.sgedanke ursprünglich den Sinn des Lobpreises (vgl. auch den Kontext von Röm 8, 28 ff. und 11, 33 ff.), so wird deutlich, daß er legitim nur Ausdruck des Glaubenden sein kann und in der Verwendung als dogmatischer Topos seinen Sinn verliert.
& Außer den Kommentaren u. nt. Theologien: N. A. DAHL, Das Volk Gottes, 1941 - ThW IV, 176 ff. - J. JEREMIAS, Der Gedanke des »Hl. Restes« im Spätjudentum u. in der Verkündigung Jesu (ZNW 42, 1949, 184-194) - W. VISCHER, Das Geheimnis Israels (Judaica 6, 1950, 81-132) - K. STENDAHL, The Called and the Chosen (The Root of the Vine, ed. A. FRIDRICHSEN, New York 1953, 63-80) - J. MUNCK, Paulus u. d. Heilsgesch., 1954 - DERS., Christus u. Israel, 1956 - E. DINKLER, P. bei Paulus (Festschr. f. G. Dehn, 1957, 81-102).
(Erich Dinkler)
III. Dogmengeschichtlich
1. Alte Kirche einschließlich Augustin
2. MA
3. Reformation: a) Zwingli - b) Luther - c) Melanchthon und die luth. Orthodoxie - d) Calvin und die ref. Orthodoxie
1. P. ist nur ein Teilbegriff einer weitreichenden Gruppe theologischer Schlüsselprobleme. Die dogmengeschichtliche Behandlung des Problems muß daher eigentlich weiter fragen als nur nach der speziellen P.slehre. Damit wird sichtbar, daß schon lange vor Augustin für diesen Problemkreis typische Fragen erörtert werden. So sieht sich bereits ð Justin genötigt, die biblische Weissagung der zukünftigen Vergeltung des Guten und Bösen gegen das Verständnis als Fatum abzugrenzen und als im Vorherwissen der jeweiligen freien Entscheidung der einzelnen Engel oder Menschen begründet zu verstehen, wobei er schon eine begrenzte Zahl der Guten voraussetzt (Apol. I, 43 ff.; Dial. 88). Der Gesichtspunkt einer unbedingten P. kommt auch bei den übrigen griech. Vätern nicht zur Wirkung, da sie am freien Entscheidungsvermögen vor und nach dem Fall festhalten; je nach der Entscheidung gegenüber Gut und Böse kommt es zu Lohn oder Strafe; diese sind Gegenstand der Vorherbestimmung. Bei ð Origenes werden die paulinischen Erwählungsaussagen durch den Hinweis auf eine vorweltliche Verschuldung der Seele »erklärt«, also als Folge der Selbstbestimmung eines Geistwesens. Der Umwandlung der kosmologischen Logostheologie (ð Christologie: II, 2a) in eine soteriologische entspricht es, daß ð Athanasius unsere ewige Erwählung in Christus vor der Weltschöpfung begründet und nur dadurch unser ewiges Leben ermöglicht sieht (or. c. Ar. II, 75-77, zu Spr 8, 22 ff.). - Die in der Zukunft wirksame P.slehre erhielt ihre Ausformung durch ð Augustin (: II, 3). Die Motive dieses seine Theologie schließlich beherrschenden Themenkreises liegen in der Übernahme paulinischer Theologumena, dem Bedürfnis nach rationaler, metaphysischer Erklärung geschichtlicher Erfahrung, in der Abwehr des ð Pelagianismus sowie in nachwirkenden Weltanschauungsmomenten seines ð Manichäismus. Zu diesen gehört die spekulative Grundaussage über die P., sie diene zur Wiederauffüllung der durch den Engelfall entstandenen Lücke mit anderen »vernünftigen Wesen«, dem numerus praedestinatorum, dem die massa perditionis gegenüberstehe. Entscheidende Bedeutung gewann die P.slehre freilich als stärkste Aussage über die Bedingungslosigkeit der ð Gnade Gottes (: IV, 1b). Die Begründung der P. in der ewigen Erwählung durch Gott und sein »Wort« (de civ. XII, 16) ist faktisch supralapsarisch und steht darum in Spannung zur infralapsarischen Konsequenz der Spekulation über den Engelfall. Grund und Beispiel unserer P. ist die des Menschen Jesus. Unsere Heiligkeit ist nicht Voraussetzung der Erwählung, sondern ihr von Gott geschenktes Ziel; gleiches gilt vom ð Glauben (: IV, 2). Die erfahrungsmäßige Partikularität der P. erklärt Augustin mit dem Hinweis auf Gottes Barmherzigkeit, die Nichterwählung samt ihrer Konsequenz, der P. zum Tode oder zur ewigen Strafe, mit dem Hinweis auf seine ð Gerechtigkeit (: IV, 1), der alle Menschen kraft der Erbsünde (ð Sünde: V) verfallen sind. Mittel der Erwählung ist im allgemeinen die in der Predigt wirksame ð Berufung (: IV); daß diese bei vielen nur zeitweise wirkt, läßt auf die zur P. gehörige Gabe der Beharrung (ð Perseveranz) bei den anderen schließen. Die P.slehre Augustins entwertet letztlich die Geschichte: ihr Ablauf ist nichts weiter als der Vollzug einer jenseitigen Entscheidung. Sie hat darum immer wieder zu Erschütterungen namentlich des Kirchenbegriffs geführt (ð Wiclif, ð Huss); zu ihrer vollen Rezeption ist es in der mittelalterlichen Kirche nie gekommen.
2. Schon ð Prosper von Aquitanien hat schließlich seinen unbedingten Augustinismus gemildert, was erst recht gilt, wenn er der Verfasser des Liber de vocatione omnium gentium sein sollte, nach dem das Vorherwissen Gottes in bezug auf die Entscheidung des Menschen für die Gnade und das Beharren bei ihr Grund der Erwählung ist. Die 2. Synode von Orange (ð Gnade Gottes: IV, 1b) bezog denn auch zur P.slehre nur in der Form Stellung, daß sie die Konsequenz einer P. zum Bösen verurteilte und das, was die augustinische P.slehre zur Bedingungslosigkeit der Gnade überhaupt gesagt hatte, auf den Empfang der Taufgnade beschränkte. Das Ergebnis des Gottschalkschen Streites lag in der gleichen Richtung. Man verwahrte sich gegen die deterministischen Konsequenzen von ð Gottschalks P.slehre, nach der, jedenfalls in Gott, Vorherwissen (der mala merita der Verworfenen), P. (des ewigen Lebens und Todes) sowie Geschehen in eins fallen; sie ließ keine Möglichkeit mehr frei für eine P. auf Grund der Präszienz, die ihrerseits die Betonung des freien Willens als Grund der Schuld und als Voraussetzung eines sittlichen Appells ebenso ermöglichte wie eine volle Anerkennung des heilsvermittelnden Charakters der ð Sakramente.
Unter Beibehaltung bestimmter Grundvoraussetzungen wie des numerus electorum, der Ablehnung rein pelagianischer Lösungen, Betonung des Gnadencharakters der P., konzentrierte sich das Interesse der scholastischen P.slehre auf die Verhältnisbestimmung von göttlicher Präszienz des Geschehenden, P. und freiem Willen des Menschen als der Voraussetzung menschlicher Verdienste (ð Verdienst: IV) oder Verfehlungen. Bei ð Alexander von Hales und ð Bonaventura sind die Verdienste des Menschen begleitende Ursache am Beginn und bei der Vollendung der verwirklichten P. Sie rechnen die menschliche Freiheit dabei unter die Mittel, mit denen Gott seinen Willen zum vorausgewußten Ziele bringt. ð Thomas von Aquino ordnete auch seine P.slehre dem Gesichtspunkt der völligen Unabhängigkeit des Willens Gottes unter, was den rein gnadenhaften Charakter der P. zur Folge hat. Durch die Zerlegung der Heilsvermittlung und -verwirklichung in begründende Gnadenmitteilung und vollendende Herrlichkeit ist aber auch bei ihm die Einbeziehung der Verdienste als vorherbestimmter Voraussetzung für die vollendete Seligkeit gegeben. Für ð Duns Scotus unterstreicht die P.slehre die völlige Freiheit des (Liebes-)Willens Gottes, der aber die Behauptung einer ebensolchen Freiheit des Menschen parallel geht. Dieses Moment der unbedingten Freiheit Gottes hat dann auch der »Nominalismus« (ð Ockham, ð Biel) betont, freilich damit auch als Setzung Gottes verbunden, daß die Verwirklichung der P. sich um vorausgesehener verdienstlicher Werke willen vollziehe, wodurch sie für den Menschen von diesen abhängig wurde. In ähnlicher Richtung argumentierte später ð Molina, der die P. in Gottes Vorherwissen menschlicher Mitwirkung begründet sein ließ. Für die Behandlung der P. in der ð Scholastik gilt insgesamt, daß die Frage nach der Freiheit Gottes primär philosophisch begründet und beantwortet und erst von hier aus auf die Theologie übertragen wird. - Auch die Folgezeit zeigte, daß der Katholizismus nicht willens war, die eigentliche P.slehre positiv zu verwerten. Das ð Tridentinum hat »das Geheimnis der P.« zwar nicht bestritten, vor der Heilsgewißheit jedoch gewarnt und die unbedingte Wirkung der Berufung gelehrt. Die letzte innerkath. Beunruhigung durch die P.slehre bewirkte der ð Jansenismus (s. auch ð Arnauld, 3). In der Verdammung der 5. Propositio aus Jansens »Augustinus« sprach sich die völlige Beseitigung des Problems aus.
3. a) Für die Reformation wurde die P.slehre wieder ein primär theologisches Problem, letzte Aussage über den Gnadenwillen Gottes in Jesus Christus. ð Zwingli ist unter den Reformatoren derjenige, der noch am stärksten antikes und mittelalterliches philosophisches Erbe in. die Gotteslehre hinübernimmt und auch in der P.slehre zur Geltung bringt: ð Gott (: V, 13b) als die einzige Ursache allen Geschehens bestimmt und wirkt alles seiner ð Vorsehung entsprechend; sie enthält die P. als Erwählung und Verwerfung, Offenbarung seiner Güte und Gerechtigkeit, die für die Erwählten in Christi Selbstopfer Wirklichkeit werden. Glaube ist nur nachfolgendes, aber nicht notwendiges Zeichen der Erwählung, als solcher freilich untrügliche Bestätigung; aber es kann eben auch Erwählung ohne nachfolgenden Glauben geben, eines der Argumente für die Kindertaufe (ð Taufe: III) gegen die ð Täufer sowie für die Erwählung edler Heiden. Damit waren starke Argumente gegen freien Willen und Verdienste gewonnen, zugleich eine heilsvermittelnde Qualität der ð Kirche (: III, 4b) und der ð Sakramente bestritten. - b) ð Luther (: II, 4 f.) teilte in seinem P.sverständnis ursprünglich den Standpunkt Biels. Wesentliche Bedeutung gewann die P. für ihn aber erst, als er sie als Voraussetzung für die Bedingungslosigkeit der ð Rechtfertigung (: II, 2a) erkannte, womit die völlige Entwertung des freien Willens im Heilsgeschehen verbunden war, Trost und Demütigung zugleich. Die deterministische Kehrseite der in die P. eingeschlossenen Verwerfung nahm er in Kauf, jedes Geltendmachen eines menschlichen Gerechtigkeitsmaßstabes als Hybris ablehnend, wohl aber die Gerechtigkeit dieses Ratschlusses behauptend, die freilich erst im jüngsten Gericht erkennbar werde. Die ð Anfechtung durch den Zweifel an der eigenen Erwählung bzw. die Drohung des Verworfenseins überwand Luther zunächst durch die Einsicht, die Annahme des Verwerfungsurteils sei ein Einstimmen in Gottes Willen, die ein Bleiben in Gott anzeige (resignatio ad inferum). Später hat er die Explikation und den Vollzug des P.swillens Gottes in Christus in den Mittelpunkt gestellt. Die verborgene Entscheidung Gottes ist in Christus offenbar, ihre Verborgenheit wird nun als identisch mit der Glauben fordernden und ihn übenden Verborgenheit Gottes im gepredigten Christus selbst verstanden. - c) ð Melanchthon (, 5) hat seinen ursprünglich deterministischen Standpunkt bald modifiziert. Der vorzeitliche Aspekt der P. wird auf das Heil in Christus und sein allgemeines Angebot beschränkt. Erwählung und Verwerfung des Einzelnen vollziehen sich in der Stellungnahme gegenüber diesem Angebot. So ist zwar das Heil unabhängig vom Menschen beschafft, Aneignung oder Ablehnung hängt aber von ihm selbst ab. Die eigentliche P.slehre ist für Melanchthon zur Verlegenheit geworden; er bejaht sie nicht mehr. Dem entspricht die Stellung der im ð Konkordienbuch enthaltenen luth. Bekenntnisschriften; weisen die älteren unter ihnen Elemente auf, die auf eine Lehre von der doppelten P. hindeuten, so lehnt die ð Konkordienformel diese ausdrücklich ab: die Verdammnis der Gottlosen ist in deren aktiver Ablehnung des Wortes begründet. Die luth. ð Orthodoxie (, 3a) ist auf diesem Wege fortgefahren und hat dabei faktisch in scholastische Bahnen der Unterscheidung zwischen einem allgemeinen göttlichen Heilswillen (s. auch ð Bergius) und seiner besonderen Verwirklichung bei den als Glaubende Vorausgesehenen zurückgelenkt (praevisa fides). - d) Die größte Bedeutung gewann die P.slehre bei ð Calvin (: II, 5). ð Bucer systematisierend, nimmt sie ihre stärksten Argumente aus Augustin; unter Übergehung von dessen spekulativem Ansatz dient sie doch auch ihm sowohl zur Interpretation geschichtlicher Erfahrung wie entsprechender biblischer Aussagen; diese sind ihm Grenze und Anlaß einer P.slehre. Für die zum Heil Erwählten wird die Erwählung allein in Christuswirklichkeit und erkennbar; sie ist die letzte, unbestreitbare Fundierung ihres Heils wie auch der Heilsgewißheit, freilich auch Anlaß zur Demut. ð Gute Werke sind gottgewirkte Frucht unserer Erwählung zum Heil, auch Zeichen für sie, aber als menschliches Tun geben sie eher zum Zweifel als zur Sicherheit Anlaß. Ewige Erwählung beinhaltet schon vom Begriff her zugleich auch die Bestimmung zum Unheil, dem Vollzug des Urteils Gottes an den Verworfenen, dessen unbezweifelbare Gerechtigkeit zu verstehen dem Menschen freilich die Maßstäbe fehlen. - Hatte die P.slehre schon zu Calvins Lebzeiten im ð Bolsec'schen Handel den Charakter einer entscheidenden Grenzposition gewonnen, so wurde sie für die Reformierten seit ð Beza zu einer der beherrschenden Unterscheidungslehren des Zeitalters der ð Orthodoxie (, 3b). Charakteristisch ist ihre Verankerung in einem ewigen Dekret über Errettung oder Verwerfung des Einzelnen als Demonstration der Herrlichkeit Gottes in Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit, wobei die Supralapsarier dieses Dekret den anderen über die Erschaffung des Menschen und die Zulassung des Falls vorangehen, die Infralapsarier es ihnen folgen lassen. Letzteres wurde die vorherrschende Lehre, obgleich auch der Supralapsarismus etwa des ð Gomarus als orthodox galt. Maßgebend zusammengefaßt wurde die ref. P.slehre auf der gegen die ð Arminianer einberufenen ð Dordrechter Synode, deren geschlossen prädestinatianisches System freilich durch die Feststellung menschlicher Schuld bei der Ablehnung der Berufung durchbrochen wird. Im weiteren 17. Jh. (s. auch ð Cambridge Platonists) und erst recht seit der Aufklärung schwand die P.slehre begrifflich aus dem Zentrum der Theologie; in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt, taucht sie an anderer Stelle wieder auf, nicht nur in der Föderaltheologie (ð Bund: IV), dem Problem der ð Theodizee und der Geschichtstheologie überhaupt, sondern auch in der Lehre von der ð Kirche (: III).
& Vgl. außer den Dogmengeschichten sowie der Lit. der Verweisart. u. bei ð Prädestination: IV: A. SCHWEIZER, Die prot. Centraldogmen, 1854/56 - W. A. COPINGER, A Treatise on Predestination, Election and Grace, London 1889 (Lit.) - RE XV, 586 ff. - F. STEGMÜLLER, Die Lehre vom allg. Heilswillen in der Scholastik bis Thomas v. Aquin, 1929 - L. BOETTNER, The Reformed Doctrine of Predestination, Grand Rapids/Mich. 1932 - P. VIGNAUX, Justification et prédestination au XIVe siècle, Paris 1934 - LThK VIII, 406 ff. - H. E. WEBER, Reformation, Orthodoxie u. Rationalismus I/1. 2; II, 1937 bis 1951 - W. A. HAUCK, Die Erwählten. P. u. Heilsgewißheit nach Calvin, 1950 - H. BANDT, Luthers Lehre vom verborgenen Gott, 1958 - A. ADAM, Das Fortwirken des Manichäismus bei Augustin (ZKG 69, 1958, 1-25) - ALTANER (s. Reg. s. v. P.) - EKL III, 271 ff.
(E. Kähler)
IV. Dogmatisch
1. Der Ansatzpunkt des P.sgedankens
2. Die Funktion des P.sbegriffs innerhalb der Erwählungslehre
3. Die ewige P. und die Gefahr ihres Mißbrauchs als Prinzip
1. Der Gedanke einer ewigen göttlichen Vorherbestimmung der Erwählten zum Heil, unter Ausschluß der Nichterwählten, hat in der Geschichte des christlichen Denkens seit ð Augustin immer wieder als düsteres Geheimnis gewirkt, während er für Paulus Röm 8, 28 ff. höchster Ausdruck der freudigen Gewißheit des Heils ist. Jene Verdüsterung des P.sgedankens in der augustinischen Tradition hängt damit zusammen, daß P. und Verwerfung am Leitfaden der allmächtigen und alleinwirksamen Kausalität des verborgenen Gottes, abgesehen von Gottes konkreter Erwählungsgeschichte, konstruiert wurden. Um diese Verwandlung der P. zum Schrecken des christlichen Denkens zu vermeiden, ihren biblischen Charakter als Ausdruck zuversichtlicher Freude zu bewahren, muß der Einsatz bei der geschichtlichen ð Erwählung (: III) Gottes statt beim abstrakten Begriff göttlicher Allmacht genommen werden. Darum hat die P.slehre des orthodoxen Luthertums, trotz ihrer synergistischen Gefährdung, darin Recht, daß sie wie auch ursprünglich Calvin die P. erst im Zusammenhang der ð Rechtfertigung, nicht als Voraussetzung der ganzen Theologie behandelt hat.
2. Inwiefern bedarf der Glaube an Gottes durch Jesus Christus geschehene Erwählung des Gedankens der P.? Die geschichtliche Erwählung ist kein punktuell isoliertes Ereignis, das mit dem sonstigen Geschehen in der Welt nichts zu tun hätte. Die Verbindung des geschichtlichen Ereignisses der Erwählung mit allem Weltgeschehen versteht sich aber nicht von selbst und ist auch durch den Gedanken der ewigen Erwählung noch nicht ausgedrückt. Über den Gedanken der ewigen Erwählung hinaus besagt P., daß die göttliche Erwählungsabsicht der Zweck ist, auf den hin alles Geschehen orientiert ist. Daher müssen denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen (Röm 8, 28). Die P. steht also in engem Zusammenhang mit Gottes ð Vorsehung (providentia) und drückt den Bezug des durch das Vorherwissen (praescientia) geordneten Weltlaufs auf den Heilswillen Gottes aus (ð Heilsgeschichte). - Wie die ð Erwählung (: III, 4) nicht auf isolierte Individuen geht, sondern im Christusgeschehen für die Menschheit Ereignis ist, so ist auch die P. nicht primär die göttliche Führung der Einzelnen dahin, daß sie des Heils teilhaftig werden, sondern die Hinordnung der ganzen Menschheitsgeschichte, ja der ganzen Schöpfung auf das in der Auferweckung Jesu Christi erschienene eschatologische Heil. Weil alle Dinge diesem Geschehen dienen, darum kann nichts den Glaubenden von Christus trennen (Röm 8, 31 ff.). Insofern gehört die Gewißheit des Bleibens in Christus (ð Perseveranz) zur Glaubensgewißheit der P. - Die P. ist also identisch mit dem auf das Heil aller Menschen zielenden göttlichen Geschichtsplan (ð Heilsratschluß). Die den Individuen zuteil werdenden Führungen gehören zur P., sofern sie in diesen auf das Christusgeschehen zielenden universalen Geschichtsplan Gottes einbezogen sind. Als Gottes Geschichtsplan bedeutet P., daß das in der Auferstehung Jesu vorgreifend schon wirkliche, durch Verkündigung, Taufe und Herrenmahl den Einzelnen verbürgte eschatologische Heil nicht ein plötzlicher Zwischenfall im Ablauf der Geschichte ist, sondern von langher geplant und vorbereitet wurde. So ist der Begriff der P. die theologische Sicherung des Bekenntnisses, daß alles, was wir sind, allein aus Gottes ð Gnade kommt. - Da die göttliche P. alles Geschehen umfaßt, bestimmt sie auch den Weg der Menschen, die - soweit wir sehen - nicht zum Glauben an Jesus Christus gelangen. Wie jedoch Gott diese Menschen führt, ist unserm endgültigen Urteil entzogen. Der Gedanke der P. gibt Gewißheit nur über das Heil der Glaubenden, nicht über die Zukunft derer, die - soweit unsere Beobachtung reicht - nicht zu Jesus Christus gelangen. Obwohl der Glaubende weiß, daß allen Menschen, die ohne Christus leben, das künftige Gericht des göttlichen Zornes und der ewige Tod drohen, kann er nicht aufhören, für alle Menschen zu vertrauen, daß Gott auch da noch Wege zum Heil weiß, wo wir keine Hoffnung mehr sehen.
3. Der Begriff P. besagt letztlich die Fügung aller Dinge von der Ewigkeit des allmächtigen Willens Gottes her. Aber als Aussage über den ewigen Willen Gottes hat diese wie alle Aussagen über Gottes ewiges Wesen »doxologischen« Charakter (Schlink; ð Gott: VI, 3), d. h. die zeitlichen Inhalten zugeordnete Struktur unserer Vorstellungen wird im Lobpreis des ewigen Gottes »geopfert«; die Begriffe werden im Vollzug dieser Übertragung äquivok. Daher können derartige Aussagen nicht ohne logischen Fehler (quaternio terminorum) zum Ausgangspunkt schlußfolgernder Systematik gemacht werden. Wo das dennoch versucht wird, entsteht im Problemkreis der P. die Antinomie zwischen theologischem ð Determinismus und ð Synergismus. Dieser Antinomie ist die theologische Tradition, namentlich in der Nachfolge Augustins, verfallen, weil man hier die P. vom ewigen Willen Gottes her (wie er abstrakt philosophisch, gleichsam, »vor« den Entscheidungen seines geschichtlichen Handelns gedacht wird) konstruierte. Wo so von der Vorstellung der ewigen Allmacht Gottes her - als ob sie ein für uns eindeutiger Inhalt wäre - im Schema der Kausalität die P. alles Geschehens entwickelt wird, tritt nämlich ein logischer Parallelismus von Erwählung und Verwerfung ein: Entweder geht die Erwählung allein auf Gottes Willen zurück, dann auch die Verwerfung, weil sie bereits aus der Nichterwählung folgt (Determinismus). Oder die Verwerfung wird durch ein von Gott auf seiten des Verworfenen vorhergesehenes Verschulden motiviert, dann ist automatisch auch die Erwählung bedingt: Sie setzt zumindest das Fehlen jenes Vorherwissens von einem Verschulden auf seiten des zu erwählenden Geschöpfes voraus (Synergismus). Die P.slehre des ð Duns Scotus zeigt bes. eindringlich, daß dieses Dilemma von dem erwähnten Ausgangspunkt her unentrinnbar ist, sofern man seine Zuflucht nicht zur Lehre von der ð Wiederbringung aller nimmt. Das Dilemma zwischen Determinismus und Synergismus tritt jedoch nicht auf, wenn die P. von Gottes Erwählungsgeschichte aus statt von einem abstrakten Gottesbegriff her gedacht wird; denn die ð Geschichte (: II C) bleibt zur eschatologischen Zukunft hin offen, so daß die Gewißheit der P. zum Heil in der Gemeinschaft mit Christus nicht zur negativen Parallele einer P. zur Verdammnis zwingt (zur Verschuldung der Verwerfung vgl. ð Erwählung: III, 6). Das Verständnis der P. vom Christusgeschehen (und von der Christusverkündigung) her wiedergewonnen zu haben, ist eine bleibende Leistung des späten ð Luther. Daß Jesus Christus das Zentrum der P. ist, wird heute von K. ð Barth mit besonderer Energie wieder sichtbar gemacht, freilich so, daß die P. zugleich zum Mittel einer Konstruktion der Dogmatik von der Gotteslehre her wird. Durch den zuletzt genannten Zug erhielt Barths christologisch begründeter P.sbegriff eine Zweideutigkeit, die ihn dem Mißverständnis, die Apokatastasis zu lehren, ausgesetzt hat.
& Außer der Lit. zu ð Erwählung: III: H. DIEM, Augustins Interesse in der P.slehre (Theol. Aufs. K. Barth z. 50. Geb., 1936, 362-381) - W. PANNENBERG, Die P.slehre des Duns Scotus, 1954 - DERS., Der Einfluß der Anfechtungserfahrung auf den P.sbegriff Luthers (KuD 3, 1957, 109-139) - DERS., Heilsgeschehen u. Gesch. (KuD 5, 1959, 218-237. 259-288) - WILH. BREUNING, Neue Wege der prot. Theol. in der P.slehre (TThZ 68, 1959, 193-210) - C. H. RATSCHOW, Das Heilshandeln u. das Welthandeln Gottes (NZSTh 1, 1959, 25-80) - J. MOLTMANN (ð Perseveranz).
( W. Pannenberg)
aus: Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, Bd. 1, S. 37 ff. (c) J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Mit freundlicher genehmigung des Verlages veröffentlicht. Bitte beachte Sie die Internetseiten der 4. Auflage der RGG: http://www.mohr.de/rgg4.html
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