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Mission

"Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker ..." (Mt 28,19), so könnte ein Überblick über die christliche Mission beginnen. In der theologischen Diskussion nimmt Mt 28 eine besondere Stellung ein. An diesem und ähnlichen Texten wird die Aufgabe festgemacht, die Welt zu missionieren. Während im Alten Testament Israel als Zeuge Gottes vor der Welt fungierte und das Heil an die Welt vermittelte, sehen die Christen in Mt 28 einen universalen Anspruch. Dabei standen von Anfang an in der Bibel unterschiedliche Missionskonzepte und verschiedene Bekehrungsmuster nebeneinander. Für die einzelnen Missionare und Missionsträger (Kirchen und Missionsgesellschaften) hatte der Missionsbefehl indes eine weitaus geringere Bedeutung als der persönliche Glaube und die Überzeugung, allen Menschen die frohe Botschaft bringen zu müssen. Zu manchen Zeiten spielten sicher auch politische Überlegungen eine Rolle, doch waren die meisten Missionare eher von christlichem Eifer angetrieben. Ein Blick in die Geschichte der christlichen Mission mag dies verdeutlichen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die evangelische Mission gelegt.

In den ersten Jahrhunderten war die Mission von biblisch bezeugten Aposteln getragen – allen voran Paulus – sowie von namenlosen Missionaren, die in der römischen Welt und darüber hinaus das Evangelium bezeugten. Über diese frühe Mission liegen nur wenige Quellen vor. Im dritten Jahrhundert hatten sich Jerusalem, Antiochien, Ephesus, Alexandrien, Karthago und Rom als Missionszentren herausgebildet.
Nach der offiziellen Anerkennung des Christentums unter Konstantin (313) begann eine neue Phase der Mission, die systematische Missionierung Europas. Diese Mission wird in der Erinnerung oft an einzelnen Personen festgemacht: Wulfila als Missionar der Goten; Columba, der Missionar der Schotten; Patrick, Missionar der Iren; Bonifatius, Missionar und Organisator der Kirche im Frankenreich, und viele andere. Zu erwähnen ist hier auch die Taufe des Frankenkönigs Chlodwig 498, die zur religiösen wie politischen Einigung der Germanen und Romanen im Frankenreich führte. Die Mission in Nord- und Osteuropa setzte erst einige Jahrhunderte später ein (9. Jahrhundert Missionierung der Slawen, Ende 10. Jahrhundert Massentaufe im Kiewer Rus, 11./12. Jahrhundert Christianisierung Schwedens, 14. Jahrhundert gewaltsame Missionierung in Litauen). In dieser Epoche der Mission wurden meistens ganze Völker oder Stämme christlich, wenn sich ihre Herrscher taufen ließen. Eines der ersten gewaltsam missionierten Völker waren die Sachsen, die im 8. Jahrhundert gleichermaßen Treue zu Karl dem Großen wie Glauben an Christus schwören mussten. Einen Tiefpunkt erlebte die Mission während der Kreuzzüge, als Christen – erfolglos – versuchten, Muslime mit dem Schwert zu bekehren.
Die systematische außereuropäische Mission setzte, nach ersten Anfängen im Mittelalter, im 16. Jahrhundert ein. Insbesondere katholische Missionare reisten nach Südamerika und Asien. Von evangelischer Seite wurde die Mission anfangs nur wenig gefördert, und es kam lediglich zu vereinzelten Missionsversuchen. Die Evangelischen der Reformationszeit waren der Ansicht, zunächst ihre Nachbarn und Landsleute missionieren – evangelisieren – und die Kirche vor Ort reformieren zu müssen. Auch besaßen die evangelischen Länder im 16. Jahrhundert im Gegensatz zum katholischen Spanien und Portugal keine Kolonien oder Handelspartner in Übersee, sodass die Mission sich wesentlich weniger als in jenen Ländern anbot und wohl auch auf deutlichen Widerstand der großen Handelsmächte gestoßen wäre.
Das erste evangelische Missionsseminar wurde Anfang des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden gegründet, die inzwischen mit Hilfe der Ostindischen Kompanie zu einer Handelsmacht aufgestiegen waren. Zeitgleich begannen die englischen "Pilgerväter" mit der Missionierung unter den Indianern Nordamerikas. 1649 wurde in England zur Unterstützung der Mission in Neuengland die erste evangelische Missionsgesellschaft ins Leben gerufen und durch das Parlament anerkannt.
Intensive evangelische Mission begann mit dem Pietismus in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wiederum zunächst von England ausgehend. Hier entstanden weitere, teils locker organisierte, Missionsgesellschaften. In Deutschland wurde die Dänisch-Hallesche Mission wichtig, die ihre Inspiration von August Hermann Francke empfing und 1705 mit Unterstützung des dänischen Königs ihre ersten Missionare – Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau – nach Indien aussandte. Diese Namen stehen am Anfang der systematischen deutschen evangelischen Mission. Aus veröffentlichten Heimatbriefen der Missionare entstanden die ersten Missionszeitschriften. Durch diese Missionare inspiriert, zog Nikolaus Graf von Zinzendorf mit der Herrnhuter Brüdergemeine Mission im großen Stil auf. Die Brüdergemeine entsandte Missionare in verschiedene Kontinente.
Verschiedene Motive prägten die Mission. Einige Missionsvereine waren konfessionell gebunden, bei anderen standen die Erweckung und der Wunsch nach Ökumene im Vordergrund. Generell lässt sich sagen, dass konfessionelle Unterschiede aus Europa und später auch Nordamerika in die neuen Kirchen übertragen wurden. In vielen Ländern bildeten sich mehrere konkurrierende Kirchen, die auch heute noch oft parallel nebeneinander bestehen. Gleichzeitig bemühten sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Missionare um eine Überwindung der Spaltung und die Einheit der Kirche. Die Missionsgeschichte kann nicht von der Entstehung der Kirchenbünde getrennt werden.
Gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts sprossen vielerorts Missionsgesellschaften aus dem Boden. Hier können nur die wichtigsten und einflussreichsten erwähnt werden. 1795 wurde die London Missionary Society gegründet, die ab 1796 Missionare aussandte. Dies war die erste große Missionsgesellschaft. Ihrem Vorbild folgten bald weitere Gründungen in Schottland, den Niederlanden und Amerika. 1815 wurde nach einigen Jahren Vorbereitung die Basler Mission gegründet. Ab 1816 gab es in Basel auch ein Missionsseminar, in dem Handwerker und Arbeiter als Missionare ausgebildet werden sollten. Eine ähnliche Anstalt war einige Jahre zuvor auch in Berlin ins Leben gerufen worden. Diese besonderen Schulen für Missionare zeigen das Engagement der Missionsgesellschaften wie einzelner Personen; doch wird an ihnen auch ein Problem der Mission des 19. Jahrhunderts deutlich: Die Missionare waren oft keine theologisch gebildeten Pfarrer, sondern Männer, denen der persönliche Glaube und das praktische Leben wichtiger waren als die Theologie. Auch in ihrer späteren Missionsarbeit stellten die Missionare häufig die Erweckung über die Organisation der Kirche, was zu Problemen bei den wachsenden neuen Kirchen führen konnte. – Für Frauen war in dieser frühen Phase der organisierten Mission die Heirat mit einem Missionar die einzige Möglichkeit, missionarisch tätig zu werden. Einige Frauen übernahmen nach ihrer Heirat auch sehr unabhängige Aufgaben. Neben den klassischen Missionaren wurden – insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – auch Ärzte in Missionsgebiete geschickt. Dies lag einerseits daran, dass die ärztliche Versorgung für die Missionare sichergestellt und Einheimische mit Hilfe der ärztlichen Versorgung missioniert werden sollten, andererseits konnten Ärzte in Gebiete reisen, die normalen Missionaren aus politischen Gründen verschlossen blieben.
1824 erfolgte die Gründung der vom preußischen König mit Privilegien versehenen Berliner Missionsgesellschaft, 1828 die der Rheinischen Missionsgesellschaft, die später zu einer der größten Missionsgesellschaften Deutschlands werden sollte. In den 1830er Jahren gründeten einige lutherische Kirchen in Deutschland eigene Missionsgesellschaften als explizites Gegengewicht zu den eher reformierten bzw. konfessionell wenig gebundenen existierenden Missionen, insbesondere der Basler Mission (vgl. z.B. die Leipziger Mission, 1836). Nach dem Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden hauptsächlich im anglophonen Bereich weitere Missionsgesellschaften. Auch begannen die neuen Kirchen bald, selbst Mission zu betreiben, sodass Mission nicht mehr nur von Nord nach Süd funktionierte, sondern auch von Süd nach Süd. Dass Missionare aus Afrika oder Asien nach Europa geschickt werden, ist hingegen ein neueres Phänomen. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert hat sich das Selbstverständnis der Missionswerke grundlegend verändert: Mission wird nun nicht mehr eindimensional verstanden, sondern als partnerschaftlicher Austausch, von dem jede Seite lernen kann. So gibt es inzwischen auch Missionswerke, in denen Menschen aus den ehemaligen Missionskirchen zum Leitungsgremium gehören und den Vorsitz haben (vgl. z.B. Vereinte Evangelische Mission – United Evangelical Mission, Wuppertal).
Ein dunkles Kapitel in der Missionsgeschichte bildete die Verquickung von Mission und Kolonialismus. Oftmals war den Missionaren die Arbeit nur möglich, weil eine Kolonialregierung sie unterstützte. Zugleich waren die Missionare häufig die einzigen Weißen, die den entwürdigenden Umgang mit den Einheimischen anprangerten und sich insbesondere gegen die Versklavung der eingeborenen Bevölkerung wandten – meist ohne Erfolg. Die Verbreitung des Evangeliums wurde durch diese Vermischung von Interessen gleichzeitig gefördert und schwer belastet. Verließ eine Kolonialregierung das Land, wurden auch die Missionare oft ausgewiesen oder interniert. Auch litt ihre Glaubwürdigkeit bei den Einheimischen unter der Assoziation mit dem Kolonialismus.
Schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts war wiederholt ein Treffen aller Missionen gefordert worden, um die Zersplitterung der Mission zu überwinden. Die erste Weltmissionskonferenz fand jedoch erst 1910 in Edinburgh statt. Sie stand unter dem Thema "Die Evangelisation der Welt in dieser Generation", war federführend durch John R. Mott und Joseph H. Oldham vorbereitet und hatte fast ausschließlich westliche Teilnehmer. Infolge dieser Weltmissionskonferenz wurde 1921 der Internationale Missionsrat gegründet. Die zweite internationale Missionskonferenz 1928 in Jerusalem befasste sich hauptsächlich mit sozialen Fragen und der Säkularisierung, die 1910 noch nicht in den Blick genommen worden war. Die dritte Missionskonferenz fand 1938 in einem ehemaligen Missionsgebiet statt: in Tambaram/Madras. Dort nahm eine große Anzahl Abgeordneter aus den neuen Kirchen teil. Die letzte Missionskonferenz in Achimota (Ghana) 1958 beschloss die Integration des Internationalen Missionsrats in den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). Ab 1963 fanden dann Tagungen der Kommission für Weltmission und Evangelisation des ÖRK statt. Die Mission war zu einer Aufgabe der Kirchen – und nicht mehr einzelner Missionsgesellschaften – geworden. Ab 1974 tagten zusätzlich Zusammenschlüsse von evangelikalen Missionen, die stärker als die ÖRK-Kirchen die Evangelisierung betonten. Bei der Konferenz der Kommission für Weltmission und Ökumene in Bangkok 1973 waren zum ersten Mal mehr Abgeordnete aus den neuen Kirchen vertreten als aus dem Westen. Beherrschende Themen waren hier die Inkulturation des Evangeliums und kontextuelle Theologie.

Damit sind auch missionstheologische Grundfragen angesprochen, die bis heute diskutiert werden. Hier soll nur eine dieser Fragen hervorgehoben werden, die nach dem Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen, methodisch gesprochen dem Verhältnis von Mission und Dialog. Dabei stehen verschiedene, einander teils ergänzende, teils widersprechende Ansätze nebeneinander. Können auch in anderen Religionen Spuren Gottes gefunden werden? An welchem Maßstab misst sich, was aus anderen Religionen aufgenommen werden kann, was nicht? Sind alle Religionen gleich, und es kommt nur darauf an, in welcher Kultur ein Mensch aufgewachsen ist; diese Religion ist dann für ihn die richtige? Oder ist das Christentum die allein seligmachende Religion?
Die pluralistische Theologie der Religionen (z.B. Paul F. Knitter, Stanley J. Samartha) in den 1960er Jahren vertrat die Ansicht, die Religionen ergänzten einander. Überall seien Wahrheitsmomente zu finden, und erst im Dialog der Religionen könnten die Menschen zu einem wahrhaftigen und gerechten Leben finden. Bei diesen Ansätzen standen befreiungstheologische und schöpfungstheologische Überlegungen Pate.
Eine etwas andere Antwort hat Wolfhard Pannenberg gegeben: In allen Religionen findet sich die Offenbarung. Erst am Ende der Geschichte kann entschieden werden, welche Religion die wahre ist. Allerdings hat sich in Jesu Auferstehung das Ende der Geschichte vorwegereignet. Pannenberg gibt also dem Christentum den Vorrang. Für ihn ist Mission Dialog, weil sich im Dialog die Wahrheitsansprüche der Religionen erweisen müssen.
Helmuth Thielicke begründete die Mission im Abendmahl, denn das Abendmahl stärke zum Aufbruch und die Mission habe teil an der Niedrigkeit des dienenden und leidenden Handelns Christi. Für Thielicke bildete der Dialog lediglich den Anfang der Mission: Im Dialog können die Christen Anknüpfungspunkte in Kultur und Religion des Gegenübers finden. Die angemessene Weise der Mission sei das Erzählen. Dann aber sprenge die Macht Gottes den religiösen Rahmen von innen heraus. Die Fremden werden Christen.
Jürgen Moltmann hingegen sah die Mission im Auferstehungsgeschehen begründet. Dort habe die Offenbarung stattgefunden. Wie für Thielicke folgt für ihn aus der Solidarität mit dem Gekreuzigten die Solidarität mit den Armen und Elenden. Der Fremde wird dadurch zu einem Bestandteil christlicher Existenz. Mission kann quantitativ (Bekehrung, Taufe, Gemeindegründung) und qualitativ (Veränderung der Lebensatmosphäre zwischen Angehörigen verschiedener Religionen) erfolgen. Medium der qualitativen Mission ist der Dialog. Es gehe darum, andere zu "infizieren", um danach gemeinsam mit ihnen handeln zu können.
Den meisten Ansätzen aus den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ist die sozialethische Ausrichtung von Mission gemein. Das gute Leben für alle Menschen und die gesamte Schöpfung sind zum Ziel der Mission geworden. Die Missionierung Andersgläubiger ist darüber in den Hintergrund getreten, wenn auch nicht aufgegeben.

Judith Becker, 2006

 

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